Hier gibt es in regelmäßigen Abständen kurze Vorstellungen von Musikern/Bands, die mir gefallen:

JAN HAMMER "Miami Vice - The Complete Collection"

Als ich 1987 auf der ARD zum ersten Mal „Miami Vice“ sehen durfte, war das wie eine Sendung mit Bildern vom Planeten Mars. Die in Pastellfarben und grellen Neontönen gehaltene Optik, die für damalige Verhältnisse expliziten Gewaltszenen und die Coolness der Undercovercops Crocket und Tubbs, die im drogenverseuchten Miami den aussichtslosen Kampf gegen das organisierte Verbrechen führten, zeigten eine völlig neue, unbekannte Welt. Für die kommenden Jahre war dann die erste Frage am Montag vor dem Schulhof immer: „Haste Miami Vice gesehen?“ Es ist heute vielleicht schwer nachzuvollziehen, aber Vice war von 1986 bis 1988 der Einfluß für die Mode und die gesamte Popkultur (Slipper, Dreitagebart, gepolsterte Jackets über T-Shirts) überhaupt. Großen Anteil daran hatten nicht nur die effektvoll eingesetzten Songs wie „Brothers In Arms“ von den Dire Straits oder „In The Air Tonight“ von Phil Collins, sondern auch der Score des Tschechen Jan Hammer, der im Wochentakt den Soundtrack für das Fernsehleben von Sonny Crockett, Ricardo Tubbs und Martin „Er gehört ihnen.“ Castillo lieferte. Unerklärlich, dass über die Jahrzehnte zwar etliche Compilations, aber nie der Original Score der Serie veröffentlich wurde. Ende letzten Jahres geschah dann das Wunder. „Miami Vice – Complete Collection“ 42 Tracks auf einer Doppel-CD. Neben den Nummer 1 Hits „Miami Vice Theme“ und „Crockets Theme“ (immer noch genauso gut wie vor 20 Jahren) gibt es noch zahlreiche weitere Schätze zu entdecken, die dem Fan beim Wiederhören die Nostalgietränen in die Augen treiben: „Rain“ aus „Zu Jung zum Streben“, „Lombard aus „Der Pate“, „The Trial And The Search“ aus „Goldenes Dreieck Teil 2“, „Evan und „The Talk“ aus „Am Rande der Hölle“, „Payback“ aus „Der kleine Prinz“.Der Preis ist zwar ziemlich derbe, doch für Fans trotzdem ein Muss. CD 1 einlegen, Titel 15 anskippen, Augen zumachen und in Gedanken mit dem Ferrari Testarossa durch die neonbeleuchteten Straßen von Miami fahren.

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OASIS "Don't Believe The Truth"

Die beste seit „Morning Glory“ hat Noel behauptet. Nach dreimonatigem Dauerhören muss ich ihm zustimmen. „Heathen Chemistry“ war der Schritt aus der Talsohle und mit „Don’t Believe The Truth“ sind „Oasis“ endlich wieder mit ihren beiden ersten Geniestreichen so einigermaßen auf Augenhöhe. Wie schon bei der letzten Platte sind alle vier am Songwriting beteiligt gewesen. Der Spruch „Weniger ist mehr“ trifft auf Noel zu, der diesmal nur fünf (!) Songs beigesteuert hat. Diese sind aber alle ausnahmslos auf höchstem Niveau. Klar ist „Mucky Fingers“ ein Rip-Off von Velvet Undergrounds „Waiting For The Man“ und „Part Of The Queue” ist 1:1 „Golden Brown” von den „Stranglers”, aber Oscar Wilde hat schon gesagt, dass das Talent borgt und das Genie stielt. „The Importance Of Being Idle“ ist das beste Stück Musik, das er seit „Don’t Look Back In Anger“ abgeliefert hat und selbst das am Anfang etwas nach “Standing On The Shoulder Of Giants“-Downern klingende „Let There Be Love“ entwickelt durch den Duogesang der Brüder eine ergreifende Zerbrechlichkeit.

Zweitwichtigster Songwriter bei „Oasis“ ist mittlerweile Bassist Andy Bell. Für mich nicht verwunderlich, da schon die „Stop Crying Your Heart Out” B-Seite „Thank You For The Good Times” auf die Platte gemusst hätte. Der Opener „Turn Up The Sun“ lässt einem das Becks auf den Balkon in den Himmel heben und „Keep The Dream Alive“ ist ein Kracher mit Hymnenrefrain und Hammersolo am Ende. Leider hat Liam diesmal kein zweites „Songbird“ beigesteuert. „Love Like A Bomb“ und „The Meaning Of Soul“ sind solide, reichen aber an Brüderchens Nummern nicht heran. Am besten ist immer noch „Guess God Thinks I’m Abel“ (Cooles Gitarrenlick!) Der einzige leichte Gähner ist für mich „A Bell Will Ring“ von Gem Archer. Der Gesamteindruck der CD wird aber nicht geschmälert, die durch ihre Vielschichtigkeit überzeugt und die gerade für Noel so etwas wie eine Wiedergeburt sein muss. Der Vertrag mit Sony ist mit dieser CD erfüllt und die großen Labels stehen laut Gerüchten schon Schlange und winken mit den dicken Dollarkoffern. Eine gute Zeit für „Oasis“, die langsam auf die gefürchteten Rockvierziger zugehen. Aber solange sie noch so gute Platten abliefern, schreie ich mir weiterhin bei den Konzerten die Kehle aus dem Hals. (Columbiahalle war ja wohl wieder mal Hammer, oder?!)

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INTERPOL "Antics"

Interpol haben darauf verzichtet, eine Kopie ihres Erstlings „Turn On The Bright Lights“ zu machen. „Antics“ ist auf den ersten Blick sperriger, nach mehrmaligem Hören aber emotionell noch tiefer, noch eindringlicher, noch besser als das fabelhafte Debüt. (Einen genialeren Opener als „Untitled“ hat es seit „Plainsong“ von The Cure nicht gegeben und „NYC“ definiert Gothic-Schmerz im neuen Jahrtausend). Natürlich ziehe ich auch den Vergleich mit Joy Division: Die einfachen eingängigen Schlagzeugrhythmen, die markante Bassarbeit und die Stimme von Paul Banks weisen auf den Haupteinfluss der vier Anzugträger aus New York hin. Interpol machen aber etwas Neues aus der Vorlage, die vor 28 Jahren zum ersten Mal auf der Landkarte der Musikgeschichte auftauchte. Die Größe von Songs wie „Evil“, „Narc“ oder „Public Pervert“, lässt Interpol gleichberechtigt neben den vier Helden aus Manchester stehen. Und das schreibt hier jemand, der „Joy Division“ für die einflussreichste Band der letzten 30 Jahre hält. Meine Platte des Jahres 2004 und um Lichtjahre besser, als die völlig überhypten Zweitlinge der Libertines und Strokes.

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IDLEWILD "Warnings/Promises"

Die Idlewilders fliegen bis jetzt leider immer noch unter dem Radar der breiten Musiköffentlichkeit. Während Keane mit ihrem Pausbackenklaviergedöns Preise und goldene Schallplatten abräumen, spielen die Schotten um Frontmann Roddy Womble noch im Berliner „Magnet“ vor zweihundert Leutchen. Ob sich das mit Warnings/Promises“ ändern wird? Keine Ahnung, auf jeden Fall machen Idlewild da weiter, wo sie mit „The Remote Part“ aufgehört haben. Eingängige Songs, die die nötige Härte nicht vermissen. Besser als „Love Steals Us From Loneliness“, „As If I Hadn’t Slept“ und „Blame It On Obvious Ways“ geht es kaum und „El Capitan” wird mich mit seinem tollen Klavierintro und dem unnachahmlichen Stampfrefrain durch den Sommer begleiten. Wer auf R.E.M. zu „Green“ und „Document“-Zeiten steht, sollte sein Geld lieber hier investieren, anstatt sich deren  müde letzte Platte zu holen.

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MEGADETH "The System Has Failed"

Nachdem Dave Mustaine wegen einem Nervenleiden in seiner rechten Hand (und sicherlich auch wegen der nicht gerade berauschenden Reaktionen auf „The World Needs A Hero“) Megadeth auflöste und anschließend seine komplette Gitarrensammlung verhökerte, war von der Band außer Resteverwertung nichts mehr zu erwarten. Zu allem Überfluss bekam sich Mustaine auch noch mit Gründungsmitglied Dave Ellefson wegen irgendwelchen Royalty-Geschichten in die Haare und kommunizierte mit dem jahrzehntelangen Gefährten nur noch über Anwälte. Megadeth = Megatod. 

Und dann kommt plötzlich kommt aus dem Nichts „The System Has Failed“ - und ist mit Abstand das Beste, was die Gruppe seit Ewigkeiten herausgebracht hat. Stellt euch eure gealterte Lieblingsgruppe vor, die völlig unerwartet noch mal ein Scheibe herausbringt, die ohne Probleme mit den besten Sachen der Bandgeschichte mithalten kann. So, als wenn Depeche Mode eine Platte von der Qualität von „Black Celebration“ herausbringen würden, Iron Maiden ein neues „Powerslave“, Judas Priest ein neues „Painkiller“, R.E.M. ein neues „Out Of Time“. Keinen gehobenen Durchschnittsmüll, sondern Qualitätsarbeit.

Mustaine hat das Beste aus der alten (bis Rust In Peace) und neuen Schaffensphase (ab Countdown To Extinction) miteinander verbunden, ohne das es klingt, als wenn die alten Sachen einfach noch mal aufgekocht werden. Die Produktion ist druckvoll („St. Anger“ hört sich dagegen wie im Klobecken aufgenommen an), das Riffing ist abwechslungsreich, bei den Solis schwingt zum Teil der alte Weggefährte Chris Poland (!) wieder seine Axt, die Texte haben endlich wieder Aussage - und das Wichtigste: Es gibt nicht einen schwachen Song auf der Platte. Riffmonster wie „Blackmail The Universe“ und „Kick The Chair“ wechseln sich mit typischen Megadeth-Emo-Nummern wie „Die Dead Enough“ und „Tears in A Vile“ ab. Weitere Highlights sind „Scorpion“, „Back In The Day“ und „Of Mice and Men“. Man kann es eigentlich gar nicht so richtig glauben. Holt die alten Megadeth-Shirts wieder aus dem Schrank - die Comeback-Platte des Jahres kommt aus Arizona!

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CLUESO "Gute Musik"

2004 ist ein gutes Jahr für Erfurt. Erst steigt der FC Rot-Weiß in die 2. Bundesliga auf, und ein paar Wochen später bringt Thomas Hübner alias Clueso mit „Gute Musik“ einen Hammer von einem deutschsprachigen Album raus. Clüsen ist Mitglied des Rowdy-Clubs (Rowdy Club!) und Mitgründer des Erfurter Zughafens, ein Musikstudio bzw. eine Künstlerkommune, die für nüschde Geld und nur durch freiwillige Helfer am Erfurter Güterbahnhof aus dem Nichts gehoben wurde. 2000 konnte er einen Deal mit „Four Music“ an Land ziehen und veröffentlichte 2001 seine erste CD „Text und Ton“ (Anspieltipps: Deine Stimme und Sweet Memories).  Die neue Scheibe legt noch mal einen drauf: „Gute Musik“ klingt wie aus einem Guss und zieht besonders ab der Mitte richtig an. Anspieltipps: „Vergessen ist so leicht“ (Die einzig richtige Reaktion, wenn einem die Bude überm Kopf abfackelt), die unaufdringliche Ballade „Fanpost“,  „Vier kleine Wände“ (…es brennt zwar Licht dort wo wohnst, doch du gehst nicht ans Telefon, dein AB kennt jeder schon…), „Pizzaschachteln“ (…die Welt da draußen ist nach außen so sauber, und das erschüttert mich, ich find es schlimmer, wenn du innerlich verkümmerst und dadurch verbittert bist…) und natürlich die Single „Wart mal“, mit der vielleicht der Durchbruch beim VIVA-Publikum gelingt wird. Zu wünschen wäre es dem deutschen Hip-Hop, denn der Track hat wie das meiste auf der CD große textliche Klasse. Sogar ein dicke-hose/you-can-find-me-in-da-club-Song wie „Egal wo“ mit Blumentopf wird durch den anschließenden einminütigen Kotz-Track erfrischend ironisiert. Musik aus der Heimat, die hier so oft über die brandenburgischen Äcker schallt, dass ich langsam wieder in meinen Kindheitsdialekt zurückfalle.

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FRANZ FERDINAND "Franz Ferdinand"

In Großbritannien überschlagen sie sich mit Superlativen für die Band, die sich nach dem ungarischen Thronfolger benannte, dessen Ermordung der Vorwand für die Europäer war, sich vier Jahre lang die Köpfe einzuschlagen. Vom Hype abgesehen, stimmt bei den Franzen eigentlich alles: Der Zeitpunkt des Auftauchens auf der musikalischen Weltkarte, das überspitzte, etwas an Zoot Woman erinnernde Image und – Überraschung! – die Musik. FF wirken wie ein Schmelztiegel aus dem Besten der letzten 30 Jahre. Übersong „Take Me Out“ klingt wie ein krautiger David Bowie-Titel aus seiner allerbesten Phase, „Come On Home“ vereint 70er-Rock mit einer wunderbar pattigen 80er Keyboardmelodie plus „Radiohead“ plus „The Strokes“. „Auf Achse“ (Manne Krug anyone?) ist eine Hommage an Joy Division/New Order. „40 ft.“ klingt wie direkt vom „Pulp Fiction“ Soundtrack entnommen. Verwirrend? Kann schon sein, macht aber Sinn wenn man es hört. Zeitgeistmusik mit sehr langer Haltbarkeitszeit. Oder anders ausgedrückt: Ich heiße superfantastisch, ich trinke Schampus mit Lachsfisch!

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UNKLE "Never, Neverland"

UNKLE waren ein typisches Opfer des englischen Musikpressehypes. Da wurde von „Psyence Fiction“ erwartet, dass es Triphop, Pop, Rock und sonstwas revolutioniert und dann war das Gejammer groß, dass es trotz der All-Star-Besetzung die DJ Shadow und James Lavelle um sich geschart hatten, nur zu einem sehr guten Album reichte, dass sich läppische 500.000 mal verkaufte. Sicher war nicht alles auf der CD Gold was glänzte, aber Songs wie „Rabbit In Your Headlights“, „Lonely Soul“ oder „Bloodstain“ waren wegwesende Musikkreationen, die heute noch genauso frisch und innovativ klingen wie vor fünf Jahren. DJ „Mad Scratch“ Shadow hat sich nach dem „Flop“ aus dem Projekt verabschiedet und bringt seine Sachen jetzt alleine unters willige Volk (sein geniales „Blood On The Motorway“ läuft gerade als Untermalung für den O2-Werbspot). Übrig bleibt also nur James Lavelle, der sich für „Never, Neverland“ Kumpel Richard File ins Boot geholt hat. Das Album ist in sich geschlossener, düsterer und nicht ganz so abgedreht wie der Vorgänger - kein Shadow mehr, der einen mit seinen krassen Scratches verzweifelt nach einem Rhythmus suchen lässt. Ansonsten wird wieder alles aufgefahren: Akustikgitarren mit Ibizabeats, rückwärts abgespielte Streicher, klassisch angehauchte Klavierstücke, Tribalrhythmen und Synthiebassattacken. Robert Del Naja von Massive Attack (Invasion = gut) und Josh Homme von den „QotS“ (Safe In Mind = schlecht) sind diesmal mit dabei und „Ian „Be There“ Brown darf bei „Reign“ über opulente Streicherarrangements singen. Fazit: Ein sehr gutes Album, welches weder die Kritiker vollständig überzeugen wird, noch für den Massenmarkt tauglich ist. Uneingeschränkte Kaufempfehlung.

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ZOOT WOMAN "Zoot Woman"

Johnny Blake und die Boys haben es geschafft, auf den erfolgreichen Vorgänger noch einen draufzusetzen, ohne das Erfolgsrezept von „Living In A Magazine“ zu kopieren. Der Sound hat zwar immer noch einen starken 80ies-Einschlag, drängt sich aber nicht wie beim Vorgänger völlig auf. Kein „Crockets Theme“ mehr, sondern eher simple Hook/Gallupsche Basshooks wie in „Half Full Of Happiness“ oder „Hope In The Mirror“. Songwriter Stuart Price orientiert sich da an den Besten. Sounds hin oder her, Songs wie „Taken It All“, „Gem“ und das Radioheadesque „Snow White“ sind es, die die CD zu einer der besten Platten des Jahres 2003 machen.

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Black Rebel Motorcycle Club "Take Them On, On Your Own"

Die leicht degeneriert aussehenden Lederjackenträger sind zurück und ihr größter Fan Noel Gallagher wird auch bei dieser Platte kaum etwas auszusetzen haben. BRMC ist die pure Essenz, wie eine Rockband mit Gitarre, Bass und Schlagzeug zu klingen hat. Gleich der Opener „Stop“ lässt einen den Bierschweiß unter den verranzten Lederjacken riechen. „In Like The Rose“ geht einem mit seiner Delay-Gitarre nicht aus dem Kopf, „Rise and Fall“ hat ein Bassriff, das ich auch gerne geschrieben hätte, „Suddenly“ erinnert an das Highlight ihrer letzten Platte „Head Up High“ und „Heart and Soul“ überrollt mit derart wuchtiger Paranoia, dass man das Gefühl hat, neben einem startenden Düsenjet zu stehen. In “Generation” und “US Government“ machen Peter Hayes und Robert Turner das Maul auch zu „tagespolitischen“ Themen auf, ohne gleich wie die peinliche Jungmissionare wie Chris Martin oder über Wasser laufende Heilsbringer a la Bono zu wirken. Auch egal. It’s just rock’n’roll. Und was für einer.

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Idlewild "The Remote Part"

Manchmal erwischt man Musik, die gefällt einem von der ersten Sekunde an, ohne die geringste Einschränkung, ohne Eingewöhnungsphase, ohne mehrmaliges Hineinhören. Als ich "You Held The World In Your Arms" zum ersten Mal hörte, war mir klar, dass ich die Platte allein wegen dieses Liedes haben musste. Idlewild haben die beneidenswerte Fähigkeit, zu wissen, wie man perfekte Songs schreibt. Mitsingsrefrains mit tollem Doppelgesang, eingängige Gitarrenmelodien und -riffs, perfekte Songarrangements, tolle Lyrics - Emo-Brit-Rock, wie er besser nicht geht. Anspieltipps sind "American English", "I Never Wanted", "Live In A Hiding Place". Mit "In Remote Part/Scottish Fiction" haben sie eine Hymne geschrieben, die alles Vergleichbare von Coldplay/Oasis/U2/Ashcroft/Travis im Jahr 2002 hinter sich lässt. Großartig!

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Howie Day "Australia"

Eins muss man Tori Amos lassen: Für ihr Vorprogramm holt sie sich Leute, die alles andere als bessere Hintergrundmusik machen. Vorletztes Jahr war es Ben Christophers, der mit seiner außergewöhnlichen Stimme die Leute in den Bann zog, diesmal hatte sie Howie Day mit dabei, der von Weitem wie ein Christoph Schlingensief Look-A-Like aussah und das ICC-Publikum mit "Welcome To The Ship" begrüßte. Was folgte, war das Abgefahrenste, was ich seit langer Zeit gesehen habe. Howie spielte eine Rhythmusriff, loopte es, packte einen Beat drüber, den er auf seiner Akustikgitarre trommelte, loopte ihn, pickte eine Melodie, loopte diese usw. Man war live dabei, wie ein Song von Null aufgebaut wurde. Die dadurch geschaffene Atmosphäre war außergewöhnlich, alles wirkte fließend, leicht und gleichzeitig wie aus einem Guss. Nach dem Auftritt hatte ich in die CD hohe Erwartungen, die Anfangs enttäuscht wurden, denn auf "Australia" spielt Howie Day noch solide Singer/Songwriter-Mucke mit Elektro- und Rockelementen. Nach einer Weile setzen sich die Lieder aber fest, besonders die vier S-Songs am Anfang der Platte (Sorry So Sorry, She Says, Secret, Slow Down) zeugen von den Songwritingfähigkeiten des jungen Amerikaners aus Bangor (Maine). Ich frage mich, ob bei den lokalen Gigs auch mal Stephen King reingeschaut hat. Bin sehr gespannt, ob er das Live-Konzept auf seiner Nachfolgeplatte übernehmen wird. Könnte außergewöhnlich werden. Reinhören.

Anmerkung: Wer eine gute Internetverbindung hat, kann sich auf dem Howie Day Trading Board die Live-Konzerte runterziehen. Songs wie Madrigal,  Brace Yourself, Ghost/Beams Of Light , Anger Me gehören zum Feinsten, was ich in letzten Monaten gehört habe.

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Nirvana "Nirvana"

Erst in der vergangenen Jahren wurde das vollständigen Ausmaß des musikalischen Einflusses sichtbar, den Nirvana auf die Musik hatten. Selbst nachdem sich die Musikrichtung, die „Grunge“ genannt wurde (Cobain sagte einmal, dass es nur eine Grunge-Band gegeben hat und das waren „Mudhoney“) totgelaufen hatte, ist die heutige amerikanische Rockszene ohne den Einfluss dieser Band nicht vorstellbar. Denn was gab es vor „Nevermind“? Die Heavy Metal Fraktion mit Metallica und Megadeth, die Hardrock-Liga mit Guns N’ Roses und Haarspraypisser wie Slaughter, Mötley Crüe und Poison, die danach krampfhaft versuchten, sich ein alternatives Image zu geben. Auf MTV liefen Clips von Prince, New Kids On The Block und SNAP auf Heavy-Rotation. Alles war verschissene glattpolierte Verarsche. Dann kam der Song der alles verändert „Smells like Teen Spirit“, mit dem Video, das alles veränderte: Der Hausmeister, die Cheerleader mit dem „A“ auf der Brust, eine Turnhalle mit Jugendlichen, die so aussahen wie du und ich und drei Typen, die sich einen Scheiß darum scherten, was sie anhatten und am Ende ihre Instrumente so zerlegten, dass man es ihnen abnahm. Elf Jahre ist das her und ich sehe mich mit 16 Lenzen in der Disko bei der Chorfahrt in Köthen zu „Smells...“ mit meiner Ex übers Parkett toben. Good times.

Über die Songs dieser „Best Of“ muss nichts gesagt werden, es reicht die namentliche Erwähnung: „About A Girl“, „Been A Son“, „Sliver“, „Smells Like Teen Spirit“, „Come As You Are“, „Lithium“, „In Bloom“, „Heart-Shaped Box“, „Pennyroyal Tea“,  „Rape Me”, „Dumb“, „All Apologies“, das Bowie-Cover „The Man Who Sold The World“, sowie "Where Did You Sleep Last Night". Zu meiner Überraschung reiht sich der „neue“ Song „You know you’re right“ nahtlos in die Reihe der Klassiker ein und zeigt uns, was hätte sein können, wenn... So ist es nur ein letzter Einblick in den Geist Cobains und sein Dasein, das er mit einer doppelt geladenen Schrottflinte beendete. Eine einmalige, Musikgeschichte neu schreibende Band. Wer das damals oder heute nicht kapiert hat, hat was Entscheidendes verpasst.

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Slut "Nothing Will Go Wrong"

Wow! So eine Hammerscheibe erwartet man eher aus dem Vereinigten Königreich. Mit „Nothing...“ setzen die vier Ingolstädter auf den sehr guten Vorgänger „Lookbook“ nochmal einen drauf und platzieren sich locker an die Spitze der Rockbands in Deutschland. Zugegeben, die Einflüsse von Placebo („Time Is Not A Remedy“) und Radiohead („I Can Wait“) sind manchmal überdeutlich, doch das tut der Klasse der Songs keinen Abbruch. In „Reminder“ können sie mit dem besten Bass-Riff seit Radioheads „The National Anthem“ aufwarten, „Something To Die For“ ist eine fantastische Ballade, die ohne Schleimfaktor zu Tränen rühren kann, „Blow Up“, Falling Down“, „No Flowers Please“ - alle Songs gehören in die oberste Liga. Bleibt zu hoffen, dass „Slut“ auf dem Weg zu internationaler Anerkennung nicht die Puste ausgeht, denn der Weg scheint noch weit zu sein. So wie es aussieht, wird die Band bis auf ein paar Spartensendungen weitesgehend ignoriert. Leider, denn sie sind eine der ganz wenigen deutschen Gruppen, auf die man uneingeschränkt stolz sein kann.

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Richard Ashcroft “Human Conditions“

Der Songwritermessias der jungen Generation ist mit seiner zweiten Soloplatte am Start. Seinen Platz im Pantheon der Götter hat er mit Hymnen wie „History“, „Space and Time“, „The Drugs Don’t Work“, „On Your Own“, „Sonnet“, „So Sister“, „Lonely Souls“, „Lucky Man“, „Weeping Willow“, „Bittersweet Symphony“, „Never Wanna See You Cry“ sicher. „Alone With Everybody” war ein solider Start in das Musikleben nach „The Verve”. Was ist jetzt von JC Ashcroft zu erwarten?

„Human Conditions“ beginnt grandios. „Check The Meaning” ist ein epischer 8-Minuten-Song - ein eingängiges Gitarrenlick, grandiose Streicherarrangements, fantastischer Oktavgesang - Jesus Ashcroft zieht alle musikalischen und textlichen Register. „Feel what I’m saying, got my mind meditating on love“ Wo nach vier Minuten die meisten Songs schon zu Ende sind, beginnt dieser erst wirklich anzuziehen und endet mit den Zeilen „Jesus Christ, buy us some time“. Besser geht’s nicht. Und besser wird es leider auch nicht. Die einsamen Highlights auf der Platte sind der „The Drugs Don’t Work“-Verschnitt „Buy it in Bottles”, der alte Verve-Klassiker „Lord I’ve Been Trying“ und „Science Of Silence“, wo das Ashcroftsche Genie für unsterbliche Streichermelodien nochmal durchschlägt.

Der Rest der Platte ist freundlich ausgedrückt nett - und böse gesagt sterbenslangweilig. Totalausfälle sind „Bright Lights“ und „Nature Is The Law“. Besonders beim letzteren wird die Schleimskala in unakzeptabler Weise überschritten. Gesicherte Existenz, Familienglück und emotionales Gleichgewicht hin und her, aber so was muss wirklich nicht sein. Ashcroft hat irgendwie seinen Stachel verloren, den er hoffentlich auf seiner nächsten Platte, die schon Mitte nächsten Jahres erscheinen soll, wiederfindet. Bis dahin retten wir uns mit einem Jahrhundertsong wie „Check The Meaning“ über die Zeit. It’s never too late, Richard. Auch für dich.

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Coldplay “A Rush Of Blood To The Head“

„Parachutes“ war klasse, doch mit dem neuen Album setzten Coldplay nochmal einen drauf. Müßig alle Highlights aufzuzählen - rockig, episch, großartig - die Dichte der Hammersongs ist geradezu beängstigend. Das geniale „In My Place“ zeigt, wie ein perfekter Song sein muss. Knackig-einfacher Schlagzeugrhythmus, eine Gitarrenmelodie, die sich beim ersten Mal einprägt, hymnischer Refrain, und wenn man denkt, es geht nicht besser, kommt dann eine Bridge, die noch einen draufsetzt. Weiter hervorzuheben ist das klaviergepeitschte „Clocks“, das manische „A Whisper“ und das Titelstück. Natürlich haben Chris Martin & Co. auch wieder typische Coldplay-Schmachtfetzen wie „The Scientist“ und „Warning Sign“ im Repertoire. Mit der Platte schließen sie zu den ganz Großen auf. Wenn Coldplay weitere solche Alben folgen lassen, können sich U2 und Radiohead schon mal warm anziehen. Na gut - wenigstens U2.

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Oasis "Heathen Chemistry"

Die Spyder Murphy Gang des Britpops (Zitat Robert Owen) ist zurück. Die Superhipsten sind Oasis nicht mehr und die Fangemeinde ist auch nicht mehr so groß wie zu seligen Morning-Glory-Zeiten. Selbst ein Ex-Popliterat, der die Kapitel seines ersten Soloalbums nach Oasis-Songs benannte, hört heute lieber Robbie Williams. Das Desinteresse an Oasis ist teilweise von der Band selbstverschuldet. Während sie auf „Be here now“ noch gezeigt haben, wie großartig und großkotzig Rock n’ Roll auf Koks klingen kann, war „Standing On The Shoulder Of Giants“ eine unausgegorene Platte, die nach den ersten drei Songs stark abfiel und ein paar schreckliche Langweiler hatte (Roll it over, I can see a liar), ganz zu schweigen vom dem in seiner Grässlichkeit fast schon kultigen „Little James“ von Liam. Deswegen sah ich „Heathen Chemistry“ mit gemischten Gefühlen entgegen. Haben sie es noch drauf oder erreichen sie endgültig „Status Quo“-Status?

Die Platte beginnt mit „The Hindu Times“ arrogant-rockig, wie man es von Oasis gewohnt ist, obwohl ich den Aha-Effekt vermisse, den ich bei „Go let it out“ hatte. „Force Of Nature“ ist Noels wütende Abrechnung mit seiner ex-Frau (gib's ihr!). Toller Mitgröhlrefrain, genau der richtige Song, wenn man morgens um 14 Uhr verkatert auf dem Balkon steht, in die Sonne blinzelt und sich der erste Kippe des Tages anzündet. Anschließend gibt es eine Weltpremiere: „Hung in a bad place“ ist weder von Noel oder Liam, sondern vom neuen Gitarristen Gem Archer geschrieben. An vierter Stelle kommt die klassische Noel-Halbballade a la „Don’t look back in Anger“ und „Magic Pie“. „Little by Little“ beginnt zwar sehr cheesig mit Hammondorgel, steigert sich aber gewaltig durch den euphorischen Refrain. „Songbird“ ist ein flotter 2-Minuten-Mitklatsch-Akustiksong von Liam, der sich durch den Gesang und sein Songwriting immer mehr seinem Vorbild John Lennon annähert. Dann kommt „Stop Crying Your Heart Out“, der nicht nur der beste Song der Platte, sondern auch ein gottverdammter Klassiker ist, der sich mit „Live Forever“ und „Don’t look back in Anger“ messen kann. Ganz richtig - Oasis haben wieder einen Klassiker geschrieben. Darauf könnt ihr mich festnageln. Mit einem ordentlichen Video und ein bisschen Glück kann der Song durch die Decke gehen. Nach dem kurzen The Doors-mäßigen Instrumental „A quick peep“ folgt „All in the Mind“, eine etwas härtere Ausgabe von „Who feels love“. Ein weiteres Highlight ist das von Liam (!) geschriebene „Born On A Different Cloud“. Meine Güte, wenn ich es nicht genau wüsste, könnte ich schwören, John Lennon singt auf dem Ding. Besonders bei der Stelle „...it’s no surprise to me...“ sind die Parallelen geradezu erschreckend. Oasis haben mit „Heathen Chemistry“ eine abwechslungsreiche Platte gemacht, die die Band wieder auf den richtigen Kurs bringt. Bis jetzt die CD des Jahres!

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Megadeth "The World Needs A Hero"

Megadeth waren nach „Risk“ erledigt. Nachdem sie mit „Cryptic Writings“ noch eine Platte rausbrachten, die den Spagat zwischen Metal und Rock schaffte, verloren sie bei „Risk“ jedes Gefühl für musikalischen Geschmack. Jedes Mal, wenn ich den Drumcomputerbeat und die funkige Gitarre von „Crush `Em“ höre, frage ich mich, was die Jungs sich in Gottes Namen damals bei der Produktion der CD gedacht haben. Den völlig misslungenen Stilbruch machten die Fans nicht mit und die Platte wurde schon ein halbes Jahr nach Erscheinen auf 20 DM runtergesetzt. Was heißt, dass ich wahrscheinlich der einzige Idiot in ganz Deutschland war, der sich das Ding gekauft hat. Doch Mastermind Dave Mustaine war einsichtig und hat versucht, das schwer angeschlagene Image der Gruppe zu retten: Zum vierten Mal in der Bandgeschichte wurden Gitarrist und Drummer ausgetauscht, Bandmaskottchen Vic Rattlehead ist wieder auf dem Cover und „The World Needs A Hero“ ist im Gegensatz zu seinem unseligen Vorgänger eine Metal-Platte.

Die CD beginnt mit „Disconnect“ erstaunlich hüftlahm. Da ist man mit „Wake Up Dead“, „Into The Loungs Of Hell“, „Holy Wars“ und „Reckoning Day“ anderes gewohnt. Auch der Titelsong, „Motopsycho” und „1000 Times Goodbye“ kommen nicht so richtig in die Gänge. Ab „Burning Bridges“ wird es aber wesentlich besser. Mit „Promises“ zeigt die Band, dass sie eine Metalballade schreiben kann, ohne sich wie Möchtegern-Bon Jovis („I’ll be there“ auf der „Risk“) anzuhören. Ein Klassesong, der sich mit „A Tout Le Monde“ und „In My Darkest Hour“ messen kann. Mit „Recipe for hate...Warhorse“ drücken sie endlich auf das Gaspedal und „Return To Hangar“ ist ein würdiger (wenn auch nicht genauso guter) Nachfolger vom 1990 geschrieben Klassiker „Hangar 18“. Eine anständige Platte, auch wenn mir das explosive Drumming von Nick Menza fehlt und es scheint, dass Mustaine sich manchmal bei seinen eigenen Songs bedient. Beispielsweise klingen „Sweeting Bullets“ und „The Dread And A Fugitive Mind“ ähnlich. Bin gespannt auf das nächste Album.

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Tori Amos "Strange Little Girls"

Vergesst mal kurz die Horden wandelnder Silikonimplantate auf MTV, gehirnfreie Hungerhakengirlies wie Christina A., oder die in ihrer Armseligkeit schon fast bedauernswerten „Spice Girls“. Vergesst auch die koksabhängigen, suizidgefährdeten Diven Whitney H. und Maria C. Und auch Madonna, denn die sollte mit ihren 48 Jahren endlich mal anfangen singen zu lernen. Hier ist eine Frau, die nicht nur besser aussieht als der oben genannte Haufen, sondern auch mit CDs wie „Little Earthquakes“, „Under The Pink“ (cooler Titel) und „From The Choirgirl Hotel“ Musikgeschichte geschrieben hat. „Strange Little Girls“ heißt Tori Amos neue Platte, 12 Songs sind drauf - und zwar alles Coverversionen. Die Ankündigungen für die CD stimmten mich etwas pessimistisch (Sind Ihr etwa die Ideen ausgegangen?) und nach dem ersten Hören schwankte meine Stimmung zwischen Ratlosigkeit und Wut. (Was hat Sie sich denn dabei gedacht?) Aber: Das abgegriffene Klischee stimmt manchmal: Man muss die Platte öfters hören. Ehrlich gesagt würde ich mir die Platte auch schön hören, wenn sie wirklich Schrott wäre. Und wahrscheinlich würde ich auch Tori’s gesammelten Toilettengeräuschen ein gutes Review geben. Und wo wir dabei sind: Wenn jemand solche Aufnahmen von Ihr hat, soll er mich kontaktieren. Aber ich schweife ab...

...zu den Songs: Mit „'97 Bonnie & Clyde“ nimmt sie Eminems eindrucksvollen Text und trägt ihn aus der Sichtweise der (in dem Song von ihrem Mann ermordeten) Frau vor. „Strange Little Girl“ ist das einzige Lied mit Chart-Ambitionen, und ist sehr flott und eingängig. In „Enjoy The Silence“ wird erwartungsgemäß auf die Tränendrüse gedrückt. Fast schon erschreckend mitzubekommen, was für Wahnsinnssongs Martin L. Gore mal schreiben konnte... „I’m Not In Love“ von 10CC singt sie so emotionslos wie es der Text ursprünglich verlangt. „Happiness Is A Warm Gun“ ist ein 10minütiger Tribut an den größten Songwriter des 20. Jahrhunderts, der vor 21 Jahren in New York erschossen wurde. Das Highlight der CD ist für mich Slayers „Raining Blood“. Hört euch diesen Titel im Original mal an: Es ist eine rasend schnelle, brillante Rifforgie mit abgehackten hasserfüllten Vocals. Sie stülpt das Lied komplett um, lässt es wie eine sehr düstere Beethoven-Sonate klingen, und besingt mit einfühlsamen trauerndem Gesang den Untergang der Welt. Absolut großartig!

Einen besseren Titel hätte Tori für die CD kaum finden können, denn das sie ein „Strange Little Girl“ ist, hat sie erneut bewiesen. Ich zähle die Tage bis zu ihrem Konzert, um sie endlich mal live zu sehen. Lechz...

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John Frusciante "To Record Only Water For Ten Days"

Wenn ich „To Record Only Water For Ten Days“ in meinen CD-Player packe, bekomme ich von meinen Besuchern - wenn welche da sind - meistens nur Kopfschütteln und scheele Blicke: „...was ist denn das?...der Typ kann ja nicht singen...hört sich an, wie auf dem Klo aufgenommen...“ „To Record...“ ist nicht meisterhaft produziert - so wie beispielsweise die letzte Depeche Mode - und auch der pattige Drumcomputersound und die verstaubten Casio-Keyboard-Flächen wirken in Zeiten von 72-Spur-Aufnahmen mit 120-köpfigen Orchestern eher exotisch. Und ich gebe es zu - auch der Gesang geht nicht so glatt ins Ohr wie Peter Alexander. Aber zwei ganz entscheidende Dinge hat die Platte: Gute Songs und Emotion. Und darauf kommt es doch an, oder?! Zum Reinhören empfehlenswert: „Going Inside“ - ist ein grauer dreckiger Waschlappen, das dir um die Ohren geschlagen wird - “The First Season”, “Invisible Movement” und für Red Hot Chilli Peppers Fans die Instrumentals “Ramparts” und “Murderers“. Es ist falsch, jetzt von den Chilli Peppers Einflüssen anzufangen, die auf der CD zu hören sind, da genau das Umgekehrte der Fall ist: Das zurecht vielgelobte und vielverkaufte  „Californication“ trägt ganz stark die Handschrift von JF, der ein Großteil des Songwritings erledigte. Ihn zurück in die Band zu holen, nachdem er ihnen „Under the Bridge“ geschrieben hatte, und dann wegen Drogen und Karma-Problemen ausgestiegen war, war der beste Move, den die RHCP machen konnten. Noch so eine durchschnittliche Platte wie „One Hot Minute“ hätte die Band sicher nicht verkraftet. Wer jetzt aber voll Überschwang gleich JF Solodebüt „Niandra Lades And Usually Just A T-Shirt“ mitbestellen will – sei gewarnt: Die Platte hat selbst mich in den Schaumstoff meiner Matratze beißen lassen. Die solltet ihr euch auf jeden Fall vorher anhören. Wer auf superverstimmte Gitarren und herzzereisendes Gekreisch und Gejammer steht kann zugreifen...alle anderen - Vorsicht!

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David Gray "White Ladder"

David Gray verkauft in den USA, England und eigentlich überall in der Welt Millionen von Platten. Nur in Deutschland nicht. Ob das etwas mit dem deutschen Geschmack für Musik (der uns Größen wie Jürgen, Zlatko, Alex und DJ Ötzi beschert hat) zu tun hat, sei dahingestellt. Du hast aber Glück: Es ist noch nicht zu spät für dich! Noch nicht zu spät, David Gray zu entdecken, seine Platten zu kaufen, sie dann mindestens 50 Mal pro Tag anzuhören und einen kleinen David Gray Altar in deiner Wohnung - mit Kerzen und einem kleinen Bild von ihm - zu errichten. Für alle, die jetzt immer noch pessimistisch die Stirn kräuseln, sei die 1999 erschienene "White Ladder"-CD empfohlen, die in Irland (also da, wo Leute mit Musikgeschmack leben) schon 8 oder 9 mal Platin eingesackt hat. Und wenn Dich dann - nach drei oder vier Mal hören - Songs wie "Please Forgive Me", "Sail Away" oder die epische Coverversion von Softcells "Say Hello, Wave Goodbye" nicht berühren, kann ich Dich beruhigen: Mit Dir armer Sau ist ernstlich was nicht in Ordnung. Verkauf deine CDs, schmeiße die Anlage weg und geh in die Einöde. Vielleicht gibt es ja dort noch Hoffnung für Dich.

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Zoot Woman "Living In A Magazine"

Ich gebe es zu: Ich bin 80ies-geschädigt. Nicht nur, dass "Miami Vice" nach wie vor meine absolute Lieblingsserie ist - sowie ich einen verhalten Synthiesound höre, bekomme ich feuchte Augen und gedenke der Tage, als Papi noch zu Ostzeiten mit dem Tonband "Tommys Popshow" mitgeschnitten hat, und ich wie ein Bekloppter solange "Forever Young" und "Wild Boys" gehört habe, bis die Bänder durchgeschmirgelt waren. Und deshalb sind Zoot Woman für mich genau das Richtige. Absolut gnadenlose Synthie-Bassläufe, dass jeder zottelige Nirvana-Zombie flennend in die Knie gehen würde. Aber keine Angst - die Mucke ist weder muffig und angestaubt. Liegt wohl daran, dass die 80ies von einer ganz neuen Generation von jungen Musikern entdeckt werden - die Typen in der Band sind teilweise bis zu 5 Jahre jünger als ich. "Living in a Magazine", "Jessie", das Kraftwerk-Cover "Das Model" und vor allem "Information First" sind die idealen Songs, um lächelnd Ferienlagerdiscos und ihren anschließenden Liebesdramen zu Gedenken. Zwar noch nicht ganz "Dancing with Tears in my eyes" - aber nahe dran. Wie hieß es in einem Review: "This is pop like they used to make. Be grateful someone's still making it now." Jetzt fehlt bloß noch, dass sich ein deutscher Sender erbarmt und Sonny Crocket und Ricardo Tubbs wieder auf Undercovermissionen schickt.

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